Martha Walter is a precious friend and an IkariaDance old acquaintance! We met with Martha in the late '90s, when she was studying the Greek language in Ikaria. Soon, she became an inspired friend of Greek dancing and she has been researching Ikaria many years. The result of this research and love is found in her book "IKARIA :EINE INSEL AUSSERHALB DER ZEIT" that our Project participants had the chance to read in August! Well done, Martha!
A gift for our German speaking IkariaDance friends: here follows her article about Kariotikos dance! Thank you Martha!
Der Tanz Ikariotikos
Dionysos: den preise ich glücklich, der den Augenblick genießt (©) Martha Walter
Der Ikariotikos ist sicher einer der anziehendsten, wohltuendsten und mitreissendsten Tänze Griechenlands. Er umarmt die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes.
Skopós (Melodie)
Für die Inselbewohner ist der Ikariotikos alles: er ist ihre Identität, er ist das Ausdrucksmittel ihres Lebensgefühls und ihres Seelenzustandes und er erfüllt sie mit großem Stolz. Seine Melodie ist fast wie eine Hymne. Allein das Wort Ikariotikos kann auslösen, dass sich die Haare aufstellen ...
Struktur
Der Ikariotikos hat wie viele Inseltänze einen 2/4-Takt. Er reiht sich in die Kategorie der Tänze ein, bei denen ein Tanzmotiv drei Takte, also 6 Zeiten, umfasst (Grundmodell Sta Tria) und bei denen in der zweiten Zeit der linke Fuß nach hinten kreuzt.
Bis vor kurzem gab es nur noch eine einzige Form des Tanzes mit Gesang. Es ist ein ruhiges Lied, das je nach Anlass noch mit Kreuzfassung getanzt wird: die bekannte „Symbethera“ oder der so genannte „alte“ Ikariotikos. Diese Form hat 7 Bewegungen in den 6 Zeiten. Dass auf das Weinlied „Ambelokoutsoura“ getanzt wird, ist eine „moderne“ Tradition.
Der „neue“ Ikariotikos ist rein instrumental. Er ist lebhafter und springender und hat in der Basisform 9 Bewegungen in den 6 Zeiten. Er wird immer mit Schulterfassung getanzt. Hier zeigt sich der Einfluss der Musik- und Tanzkultur Kleinasiens nach 1922, was auch daran deutlich wird, dass zu Beginn immer der städtische Hassaposerviko als kurzes „Intro“ zur Einstimmung in den Rhythmus getanzt wird.
Musiker
Das wichtigste am Tanz ist die Musik. Die Musiker geben dem Tanz unterschiedliche Färbungen je nach Instrument, Herkunft und Persönlichkeit. Diese Feinheiten wirken sich auf die Art zu tanzen aus. Der Ikariotikos kann verschiedene Bezeichnungen haben - alle sind aber nur Varianten oder Nuancen desselben Tanzes.
Das Hauptinstrument ist heute die Geige, sie machte den Tanz virtuoser. Kein Ikariotikos wird gleich gespielt! Der Geigenspieler reiht einzelne Melodiethemen aus seinem Repertoire aneinander und kreiert jedesmal ein neues persönliches Stück. Durch dieses laufende Zusammenfügen von festen und freien Motivelementen könnte der Ikariotikos endlos sein, wenn Musiker und Tänzer das wollten ...
Die Ikarioten sind sehr tanzfreudig. Die traditionellen Feste (die Panijiria, die Feste der Dorfheiligen) dauern bis zum nächsten Morgen. Die Musiker steuern die nötige Energie der Tänzer, indem sie durch ihr Spiel die Intensität anschwellen und wieder abfallen lassen. Sowie mit den ersten Takten das charakteristische Signal ertönt, erwachen die Lebensgeister und alle erheben sich von ihren Sitzen. Die Menschen möchten immer wieder ihren ureigenen Ikariotikos hören und tanzen.
Das Ich wird zum Wir
Im Verlauf des Abends steigert sich das Fest bis hin zu einem dionysischen Punkt. Lange Dauer, Rhythmus und eine vermeintliche Monotonie machen ekstatisch. Die Tänzer tanzen immer enger zusammen, um sich gegenseitig zu spüren. Sie möchten ein einziger Tanzkörper sein. Aus Platzgründen schieben sie sich wie eine Spirale ineinander. Es ist kein Anfang und kein Ende mehr zu erkennen.
Die Idee vom Tanz
Fremde bemerken zu ihrer großen Überraschung, dass auf griechischen Festen alle Generationen zusammen feiern und tanzen - das ist bei uns fast verloren gegangen. Der Ikariotikos ist noch sehr lebendig. Er ist nicht Folklore, die Kinder lernen ihn noch durch Mitmachen und Nachmachen auf den lokalen Festen. Die griechischen traditionellen Tänze haben nichts mit dem westlichen Paartanz zu tun, denn Kreistänze sind generell Relikte aus einer alten Zeit.
Das Geheimnis des Miteinanders ist das alte und wunderschöne griechische Wort Methexis. Bei Platon bedeutet es „die Teilhabe an den Ideen“. Wichtig ist, dass Teilnahme und Teilhabe nicht dasselbe sind. Auf Ikaria ist jeder einzelne Teil des Geschehens, auch der Zuschauer. Die Menschen möchten beim Tanz Freude haben, eine innige Gemeinschaft fühlen und sich voll dem Tanz hingeben im Hier und Jetzt. Eine Strophe aus dem Liedtext sagt sinngemäß: „tanzen wir, denn wir müssen alle einmal unter die Erde“.
Erster Tänzer
Das Grundmuster des Ikariotikos ist nicht besonders schwierig, aber es geht nicht um eine rein formelle Abfolge von Schritten. Die griechische Volkskultur erwartet insbesondere vom ersten Tänzer, dass er seine Persönlichkeit im Tanz ausdrückt und dass er dabei aus sich herausgeht. Der erste Tänzer improvisiert, indem er die Musik interpretiert. Dabei hilft die entspannte und herzliche Atmosphäre, die auf den Festen herrscht. Erst dadurch ist es überhaupt möglich, sich frei und locker zu fühlen. Die Einheimischen kennen noch ein weiteres Geheimnis: sie brauchen erst „ausreichend Wein in den Füßen ...“ Die Freiheit ist natürlich nicht grenzenlos, der Tanz muss immer dorfgemäß bleiben.
Besonders schön sind die reduzierten Bewegungen mit betonten Pausen - abwechselnd mit intensiven und impulsiven Schritten. Wichtig ist eine selbstsichere Armhaltung. Die Tief-Hoch-Bewegungen können sich in einem kollektiven Aufstöhnen entladen. Kraftvoll sind die männlichen Schläge auf Schenkel, Fußsohlen oder auf den Boden, die Frauen tanzen generell zurückhaltender.
Der Kavos (so nennt man den ersten Tänzer oder die Gruppe der ersten 4-5 Tänzer) wechselt auf Ikaria grundsätzlich sehr oft. Das ist wohl das Ergebnis der engen Verbundenheit und des stark ausgeprägten Gefühls für das Teilen, das auf der Insel herrscht. Natürlich gibt es Tänzer, die man sehr lange an der Spitze sehen möchte! Nach welchen internen Regeln der Wechsel erfolgt, erschließt sich den Nicht-Einheimischen kaum. Es kann auch sein, dass einer nach dem anderen den Tanz anführt und seine „Tsalimia“ macht, dann dauert der Tanz so lange, bis alle (!) an der Reihe gewesen sind.
Anziehungskraft
Die ikariotischen Feste sind seit einigen Jahren fast zum Kult geworden. Immer mehr Menschen kommen im Sommer auf die Insel, um am ikariotischen Lebensgefühl teilzuhaben, Griechen und Fremde. Die Sehnsucht nach Masse und der Wunsch nach körperlicher Berührung sind eine deutliche Zeiterscheinung. In der globalisierten Welt gibt es ein starkes Bedürfnis nach Verwurzelung und auch eine starke Faszination für das Regionale.
Die einheimische Bevölkerung ist sehr gastfreundlich, jeder wird auf Ikaria ganz selbstverständlich aufgenommen und darf mitmachen. Es heißt, wer den Ikariotikos einmal auf der Insel Ikaria erlebt und getanzt hat, bleibt für immer an ihn gebunden.